Die Mikroanalyse der Therapeut-Klient-Interaktion mittels Sequentieller Plananalyse - Teil II: Die Ordnung des Chaos

Autor/innen

  • Günther Schiepek
  • Guido Strunk
  • Zbigniev J. Kowalik

Abstract

Das Verfahren der „Sequentiellen Plananalyse “ bietet die Möglichkeit, Prozesse der Beziehungsgestaltung zwischen Therapeut/in und Klient/in in hochfrequenter Weise zu kodieren (zeitliche Auflösung: 10 Sekunden). Eine Kodierung auf diesem zeitlichen Auflösungsniveau läßt ein hochgradig irreguläres Verhalten erkennen, und zwar sowohl auf der qualitativen Ebene (Abfolge vertikaler, also synchroner Planaktivierungsmuster) als auch auf der quantitativen Ebene (Zeitreihen der Ausdrucksintensität bestimmter Selbstdarstellungsformen). Trotz der beobachtbaren Irregularität handelt es sich aber offenbar nicht um Zufall, wie anhand der zeitlichen Abfolge von Planaktivierungsmustern deutlich gemacht wird. Stattdessen hält die Unordnung eine komplexe Form der Ordnung versteckt - ein Phänomen, das in der modernen Systemtheorie mit dem Begriff des „ Chaos “ bezeichnet wird. Nach einer Charakterisierung des Konzepts des „deterministischen Chaos“ - das übrigens inzwischen in vielen Wissenschaften, die sich die Möglichkeiten der Theorie nichtlinearer dynamischer Systeme zunutze machen, eine wichtige Rolle spielt -wenden wir uns dem für das Chaos typischen „ Schmetterlingseffekt “ zu. Dieser Effekt, d.h. die sensible Abhängigkeit der Systementwicklung von den Anfangsbedingungen, läßt sich auch in unseren Zeitreihen nachweisen (über die Berechnung sog. größter Lyapunov-Exponenten, LLEs). Die zeitliche Entwicklung der LLEs (sog. lokale LLEs) gibt zu erkennen, daß im therapeutischen Prozeß charakteristische, zum Teil synchronisierte Sprünge und Diskontinuitäten auftreten.

Breiten Raum nimmt abschließend die Diskussion der Frage ein, welche Konsequenzen mit diesen Forschungen für Praxis und Wissenschaft verbunden sind: Was würde es für die Psychotherapie bedeuten, sollte sich die Hypothese, die Therapeut-Klient-Interaktion sei ein nichtlineares, dynamisches System und mithin vom Chaos geprägt, erhärten!

Schlüsselwörter:
Sequentielle Plananalyse, Therapeut-Klient-Interaktion, dynamische Muster, Chaos, Zufall, Nichtvorhersehbarkeit.

Autor/innen-Biografien

Günther Schiepek

PD Dr. Günter Schiepek, Hochschullehrer für Klinische Psychologie an der Universität Münster. Mitglied derÖsterreichischen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie (ÖAS), der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und der Society for Psychotherapy Research (SPR). Arbeitsschwerpunkte: Anwendung der Synergetik und der Theorie nicht-linearer dynamischer Systeme auf Psychotherapie, Ätiologie- und Verlaufsforschung psychischer Störungen (Schizophrenie, Alkoholismus, Depression), Emotionsforschung, Intra - und Intergruppendynamik.

Korrespondenz: PD Dr. Günter Schiepek, Westfälische-Wil­helms-Universität Münster, Psychologisches Institut I, Ro­senstraße 9, D-48 143 Münster

Guido Strunk

cand. psych. Guido Strunk, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Klinische Psychologie an der Universität Münster. Koautordes Buches " Dynamische Systeme " (Asanger-Verlag, Heidelberg) .

Zbigniev J. Kowalik

Dr. Dipl. Phys. Zbigniev J. Kowalik, Mitarbeiter am Institut für Experimentelle Audiologie der  Medizinischen Fakultät (HNO-Klinik) der Universität Münster. Habilitation im Bereich "Biosignalanalyse". Arbeitsschwer­punkte: Nichtlineare EEG- und MEG (Magnetenzephalographie)-Analyse, Entwicklung nichtstationärer Verfahren der Chaosanalyse.

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Veröffentlicht

01.04.1995

Zitationsvorschlag

Schiepek, G., Strunk, G., & Kowalik, Z. J. (1995). Die Mikroanalyse der Therapeut-Klient-Interaktion mittels Sequentieller Plananalyse - Teil II: Die Ordnung des Chaos. Psychotherapie-Wissenschaft, 3(2), 87–109. Abgerufen von https://psychotherapie-wissenschaft.info/article/view/677